Herbst

Es ist kalt geworden. Der Herbst ist da. Nicht nur das Wetter ist kalt, auch mein Herz fröstelt. Nicht, weil die Heizung streikt, oder weil ich so emotionslos bin, nein. Ganz im Gegenteil. Viele Emotionen erfüllen mich an diesem dunklen, windigen Vormittag. Zu viele.

Ich bin wieder zuhause. Mehr als sechs Wochen war ich nicht mehr hier. Als ich fortging, um meine Träume wahr zu machen, war hier noch heißer Sommer. Erst gestern habe ich den Fuß wieder in meine eigene Wohnung gesetzt. Vertraut ist es hier, aber doch irgendwie fremd.

Jetzt sitze ich an meinem Lieblingsplatz, der Nische mit den bodentiefen Fenstern, auf den Kissen, und schaue hinaus in die Welt. Ich beobachte die Menschen unten auf den Straßen. Wie sie ihre Jacken enger ziehen, die Kragen aufstellen, die Mützen festhalten.
Denn der Wind ist stark. Weiter hinten, im Hafen, treibt er das Wasser zu deutlichen Wellen an.
Stark sind auch meine Gefühle. Ich kämpfe gegen sie, ziehe die Beine eng an mich, und lasse meine Finger vom warmen Kaffeebecher wärmen.
Es ist ruhig hier, in meiner Wohnung. Still. Kein Lärm, wie in den letzten Wochen. Kein Trubel. Auf dieser Bühne bin nur ich. Allein. Sehr allein.

Ich seufze, und nippe am heißen Kaffee. Ich mag den Duft, wie er in meine Nase steigt. Tief ziehe ich die warme Luft ein. Während ich tief ein und aus atme, spüre ich wie mein Herz von diesen Gefühlen beinahe gefesselt wird. Ich schlucke, lehne den Kopf zurück an die Wand. Ich lasse es nicht zu.

Ich brauche Ablenkung.

Wieder nehme ich einen Schluck Kaffee, einen großen, dann stelle ich die Tasse zur Seite.
Meine Hände sind noch gewärmt von der Tasse. Und da, wo zumindest eine von ihnen nun hinstrebt, ist es ebenso warm. Eine der wenigen Stellen meines Körpers, die nicht kalt sind oder sich so anfühlen.

Anfühlen. Fühlen.

Unter der Pyjamahose. Warmer Stoff meines Slips. Weicher, anschmiegsamer Stoff. Er ist Schutz und Wohltat zugleich. Er schmeichelt mir. Beschützt meine sensible, empfindlichste Stelle. Vor der Umwelt. Allem Bösen da draußen.
Aber hier drin, bei mir, ist nichts Böses.

So gleitet meine warme Hand unter diesen Schutz. Unter die letzte Barriere. Und es ist gut so. Es ist okay. Total okay.

Ich schlucke, schließe die Augen. Es ist nicht notwendig, etwas zu sehen. Ich kann alles fühlen, tasten, spüren... Ich spüre es deutlich, und mehr als gerne. Alles. Jeden Millimeter. Jede noch so kleine Empfindsamkeit wird geweckt.

Stille. Noch.

Ich schweife wieder ab. Meine Gedanken, sie sind beherrscht von den letzten Wochen. Ich vermisse euch so sehr, meine lieben Freunde. Natascha, Irina, ihr zwei süßen Tanzpartnerinnen. Es war so schön mit euch! Wir hatten so viel Spaß, auf der Bühne, in den Bars, auf den Partys.

Und im Bett. Zu zweit, zu dritt.

Es wird wieder lebendig, der Film läuft im Geiste. Und ich genieße ihn. So wie ich mich selbst genieße. Jetzt, hier, alleine. Nur meine Finger sind für mich da. Aber das umso intensiver. Sie liebkosen, streicheln, verwöhnen mich.

Sie lieben mich.

Die Stille vergeht... Die Zeit ebenso. Die Gefühle, sie vergehen nur zum Teil. Dafür kommen neue hinzu. Sie lassen mich stärker atmen. Lassen mich die Zehen beugen, die Hand auf das Shirt krallen. Und die Augen kurz wieder öffnen.
Es fängt an, ein wenig zu regnen. Kleine Tropfen bleiben am Fenster hängen, rutschen wie in Zeitlupe nach unten.
Ich öffne auch den Mund, mein warmer Atem schlägt sich am Fenster nieder. Mit den Fingern ziehe ich Streifen auf der beschlagenen Stelle am Fenster.

Es wird wärmer in meinem Schoß. Ich freue mich darüber sehr. Kurz räuspere ich mich, lasse meine Stimme wieder erklingen. So als könnte ich Wehmut durch Stöhnen vertreiben. Wer weiß? Einen Versuch ist es allemal wert.

Ein wenig rutsche ich nach vorne... Im Bestreben, meiner Hand mehr Spielraum zu schenken. Aber es reicht noch nicht. Ich hebe meinen Po, die Hände helfen, Hose und Slip zugleich von ihrem gewohnten Ort zu lösen, und sie kurz vor den Knien neu anzusiedeln.

Warm und feucht. Traumhaft. Zeit, die Augen wieder zu schließen.

Leises Stöhnen, leises Schmatzen. Sanfter Griff auf mein Shirt. Und ein Kopfkino, das mich beflügelt, mich anfeuert. Entspringt es doch nicht meiner Fantasie, sondern wird genährt aus der Erinnerung. Der Erinnerung an eine wundervolle, leider viel zu kurze Zeit mit zwei bemerkenswerten, erotischen Frauen.

Eine letzte Umklammerung auf meinem Shirt, dann gleitet auch die zweite Hand hinab.

Und es wird endlich Zeit für mich, die Gefühle zu ordnen. Denn sie werden stärker. Alle. Ich kämpfe gegen einige davon, mit aller Macht. Mit allen Mitteln. Die anderen koste ich voll aus.

Stille? Fehlanzeige.

Wärme. Hitze. Feucht, heiß. Lüstern. Nur für mich. Nur mit mir. Ich möchte es, jetzt! Ich weiß, was ich brauche. Wie ich es brauche. Was gut für mich ist. Und ich tue es. Ich tue mir etwas Gutes. Was sonst sollte ich jetzt tun?

Sonst tut es ja keiner.

Die Regentropfen werden größer. Ich spüre erneut eine unsichtbare Hand, so als würde sie mein Herz greifen und zudrücken. Nein, ich lasse es nicht zu. Da sind noch mehr Gefühle, mehr Empfindungen. Ich weiß es, suche sie, finde sie, genieße sie erneut.
Mit allen Sinnen. Unablässig. Lasse nicht locker, lasse nicht ab von mir. Von dort, wo es so herrlich warm ist. Feucht ist. Wo es mir so unbeschreiblich schöne Freuden bereitet. So sinnliche, leise, aber auch laute, angestrengte Töne entlockt.

Ich weiß, dass ich mich noch steigern kann. Für noch mehr Wärme, die mich erfüllt, noch mehr Hitze. Um die Schatten zu vertreiben.
Um endlich auszubrechen aus dieser Umklammerung! Die mich beherrscht, mich niederdrückt... Sie soll endlich aufhören!

Hör endlich auf!

Ich schreie... Vor Lust, vor Erregung. Vor Verzweiflung. Ich will endlich ans Ziel. Hinauf auf den Berg, auf den Gipfel. Ganz nach oben! Raus aus diesem tiefen Tal.

Und ich schaffe es! Ich schreie erneut. Vom Gipfel herab. Ich schlucke, spüre den wohligen Schauer... Mein ganzer Körper wird davon erfasst. Fast schon jammernd koste ich den Moment aus.
Flach bleibt die Hand auf mir liegen. So als wolle sie den zuvor entrissenen, schützenden Stoff ersetzen.
Feucht. Feucht ist auch das Fenster. Außen, vom Regen. Innen, beschlagen von meinem Atem, meiner Hitze. Ich lehne den Kopf an das kalte Fenster...

Ich ziehe die Hand zu mir hoch. Liebkose mit der Zunge die Fingerspitzen, wie ich es fast immer tue. Schmecke mich. Dann male ich gedankenverloren Striche dorthin, wo ich sie vorhin gezogen habe.

Die einen Gefühle vergehen. Der Orgasmus ist vorbei. Die anderen Gefühle habe ich nicht besiegen können. Sie sind zu stark. Ich habe den Kampf verloren.

Die Regentropfen laufen über das Fenster nach unten.

Und die Tränen über meine Wangen.

(Herbst 2018)
Veröffentlicht von Bea_S
vor 2 Jahren
Kommentare
14
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wunderschön geschrieben
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Gene04
an julia1970 : Flows well
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Sehr schön geschrieben. Du bist die Beste. Schreibst du andere Sachen? 
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Es war wieder so ein langweiliger Tag. Nur Besprechung mit viel Blabla und wenig Ergebnissen. Ich musste einfach raus um den Kopf frei zu bekommen. Es ist richtig herbstlich, der Wind bläst und einige Regentropfen fallen. Ich schlendere ziellos durch die Stadt, da sehe ich Sie aus dem Augenwinkel heraus. Sie sitzt an einen Bodentiefen Fenster, sie zieht mich sofort in ihren Bann. Sie scheint die Leute zu beobachten oder vor sich hin zu träumen. Im Pyjama und mit einer Tasse in der Hand sitzt sie da, was für ein Anblick. Sie stellt den Kaffee ab und fährt mit der Hand in Ihre Pyjamahose, ich bin erstarrt was für ein Anblick. Sie schließt ihre Augen und greift an ihr Shirt, sie öffnet die Augen wieder, ich drehe mich um und hoffe sie hat mich nicht bemerkt. Der Regen wird stärker. Sie haucht an das Fenster und macht darauf Streifen. Ich schaue über die Schulter und schlendere unauffällig an eine andere Stelle mit nicht minder schlechten Blick auf das Bodentiefe Fenster. Sie hebt ihren Po und schiebt die Pyjamahose und ihr Höschen noch unten. Ich fasziniert von dem Schauspiel. Sie umklammert nochmal ihr Shirt und schiebt die zweite Hand in ihr Höschen. Ich sehe erstaunt den Schauspiel zu bis zum lautlosen Schrei und einen zweiten lautlosen Schrei. Ich bin hin und weg als ich sehe wie sie ihre Feuchte von den Fingern leckt. All der Streß des Tages ist vergessen. Ich gehe jetzt zügig in mein Hotel.
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Wandertipp
Sehnsucht bittersüß. Danke. 
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super schön geschrieben
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laurent7891
Das ist ein sehr schöner Text, liebe Beatrice. Ich habe es sehr gerne gelesen, wie der vorherige. Ich mag die Art und Weise, wie die Atmosphäre wieder hergestellt wird, man spürt die Traurigkeit, den Schock des Herbstes angesichts der Sommerfreude. Diese Sehnsucht nach verlorener Liebe... Momente intensiver sexueller Freuden, die jetzt vergangen sind. Aber die Erotik dieser Geschichte ist auch gut gemacht. Die Parallele zwischen der heißen Tasse und der Aufregung der Masturbation, dann des Orgasmus... ist so gut wiedergegeben. Ja, der Herbst ist zurück, aber Träume und Fantasien auch, und sie werden dazu dienen, bis zum nächsten Sommer zu warten. Vielen Dank, liebe Bea, für das Teilen. :smile:
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a-xxx-el
sehr schön geschrieben :smile: knuddel
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Janbeat65
Wunderschön geschrieben
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Wunderschön! Man ist beim Lesen förmlich live dabei.
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Mariechen-
Wirklich schön erzählt und mir geht es wie clit069, neugierig mit angefangenen Kopfkino. ??
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Mondmatt
Sehr schön und gleichzeitig traurig geschrieben. Danke schön
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Wunderschön...Ich konnte Dich sehen....
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Sehr schöne Geschichte, die jetzt aber auch noch auf eine weitere warten läßt….wie war es mit den beiden anderen während der 6 Wochen. Jetzt sind meine Finger auf Reisen gegangen und konnten noch kein rechtes Ende finden…?
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